Mit dem Trans Asia Express von Ankara nach Teheran – der Weg ist das Ziel!

Mittwoch morgen, 7:45 Uhr: Ankunft am Bahnhof in Ankara. Um 10:25 Uhr soll er dann los fahren, der einmal wöchentlich verkehrende Trans Asia Express. Da die Bauarbeiten auf der Strecke zwischen Istanbul und Ankara für den geplanten Schnellzug noch immer nicht abgeschlossen sind, mussten wir einen Nachtbus von Istanbul nach Ankara nehmen, um dort dann in den Zug steigen zu können. Nun sind wir früher am Bahnhof als gedacht und haben Zeit ein letztes Mal ausgiebig zu frühstücken und ein paar Lebensmittel einzukaufen. Denn wer weiß was es im Zug so gibt?

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Pünktlich um 10:25 rollt er dann ein, der Trans Asia Express. Mit uns auf dem Bahnsteig: ausschließlich Iraner, vielleicht ein paar Türken – ganz sicher beurteilen können wir das nicht. Wir beziehen uns übertrieben klimatisiertes Abteil mit Ali aus Esfahan. Er hat Urlaub in Ankara gemacht, ist ganz begeistert vom Atatürk Museum und noch ein bisschen mehr davon, dass wir ’seine Stadt‘ besuchen möchten.

Auf dem Gang begegnen wir vielen anderen Iranern und werden neugierig beäugt. Nach ein paar Stunden dann die Überraschung: Zwei Deutsche (Nils und Sophie) und ein Grieche (Alex) laufen an unserem Abteil vorbei! Austauschstudenten aus Izmir – sie wollen auch in den Iran, bevor sie die Türkei in drei Wochen endgültig verlassen müssen. Nils verkennt unseren tollen Wasserbeutel als mein Asthmagerät und ist sehr besorgt um meine gesundheitliche Versorgung im Iran…

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Die drei wussten nichts von dem Embargo, das auf dem Iran noch immer lastet, und sind ohne Bargeld in den Zug gestiegen; wollten dann in den ‚sieben zugfreien Stunden in Tatvan’ Bargeld besorgen. Maurice & ich: „Aber das ist doch die Überfahrt über den Van See!“ – Krisensitzung! Auch die Iraner, die wir inzwischen kennen gelernt haben, überlegen fleißig mit. Es hat ein wenig gedauert, aber nach den ersten scheuen Blicken haben wir schon am Ende des ersten Tages  viele iranische Gäste in unserem Abteil. Jeder möchte wissen, warum wir ausgerechnet in den Iran reisen, was wir über das Land denken und welche Städte wir besuchen möchten. Es werden viele Fotos gemacht, Nummern ausgetauscht und Einladungen ausgesprochen. Auch politische Themen werden heiß diskutiert und natürlich geht es ums Tanzen, Alkohol und die Kleiderordnung im Iran. Was die Kleidung betrifft: Im Zug präsentiere ich meine „Ausrüstung“, die von allen für gut befunden wird. Erleichterung! Von Behrooz bekomme ich eine Einführung in das korrekte Halten des Chadors, gespickt mit Geschichten aus seiner Kindheit, in der er – in den Chador seiner Schwester gehüllt – durch’s Dorf spaziert ist.

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Behrooz ist iranischer Flüchtling, lebte fünf Jahre lang in der Türkei und möchte nun zurück in die Heimat, das Heimweh ist zu groß. Am Wochenende will er die Hochzeit eines Freund in Teheran besuchen und sich dann um Wohnung, Job und die Abarbeitung seiner Schulden kümmern. Die meisten anderen Iraner im Zug haben geflüchtete Verwandte in und um Kayseri in der Türkei besucht oder haben Urlaub in Istanbul oder Ankara gemacht.

Die Zeit im Zug vergeht wider Erwarten recht schnell. Wir tauschen uns aus, beobachten die vorbei ziehende Landschaft, lesen und schlafen viel. Nach den letzten, recht turbulenten und durch ein andauerndes Schlafdefizit geprägten Wochen in Deutschland tut uns diese Zugfahrt richtig gut! Die Betten sind bequem, die Bettwäsche sauber und die Hitze durch die Klimaanlage nicht spürbar – kurzum: wir können so richtig die Seele baumeln lassen!

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Am späten Nachmittag des zweiten Tages erreichen wir Tatvan und den Van See. Jubelstimmung und Vorfreude im ganzen Zug – es geht auf die Fähre! Die Fähre? Ein rostiger alter Kahn, bei dem wir uns sorgen, ob er das andere Ende des Sees erreichen wird…

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Die Fahrt über den See dauert circa sechs Stunden und kommt genau zur richtigen Zeit: Der Sonnenuntergang auf dem See ist wunderschön! Mehran aus der Nähe von Tabriz versüßt uns das Spektakel mit von einer weißen, süßen Masse umhüllten Walnüssen.

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Auf dem Schiff lernen wir auch Temel kennen, ein weiterer Deutscher! Er kommt aus Anatolien, wo er seine Familie besucht hat und reist nun weiter in den Iran – sein Ziel: Ahnenforschung und musikalische Inspiration! Er spricht fließend türkisch, was mir beim Bestellen eines vegetarischen Sandwich’s (überall wird hier Fleisch in irgendeiner Form beigefügt!) und den drei Erasmus Studenten bei der Beschaffung von Bargeld vor der iranischen Grenze sehr zu Gute kommt: Während Sophie an einem der Bahnhöfe in der Türkei aus dem Zug gesprungen und zum nächsten ATM gerannt ist, sind die beiden Jungs noch immer unversorgt, dafür aber mittlerweile in großer Sorge. Auch in Tatvan war kein ATM in Sicht und in Van wird der iranische Zug im Hafen bereit gestellt. Der lässt allerdings noch eine Stunde auf sich warten, so dass die beiden schließlich (nachdem sie sich circa 40 Minuten nicht getraut haben) in ein Taxi springen und sich in die Stadt fahren lassen. Was für eine Aufregung! Zum Glück geht alles gut!

Um ca. 23 Uhr steigen wir dann endlich in den iranischen Zug. Ein paar Scheiben, auch die unseres Viererabteils, sind von Steinschlägen zersplittert. Ali sagt uns, dass dies Kurden gewesen seien. Wir schlafen also mit den Köpfen so, dass uns ein weiterer Steinschlag hoffentlich nicht trifft. Denn ob unsere Scheibe einen weiteren Stein aushalten würde…? Mit uns dreien bezieht nun auch Kamuran, ein Geschäftsmann aus Istanbul, das Abteil. Es gibt Kekse, Wasser und Tee – wir machen es uns gemütlich, quatschen noch ein wenig und kuscheln uns dann in die orientalisch anmutende Bettwäsche.

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Um drei Uhr in der Nacht werden wir dann aus dem Schlaf gerissen: „Boarder! Get out!“. Wir taumeln schlaftrunken aus dem Zug und laufen zur Grenzstation. Ich bin froh, dass ich meinen Salwar Kameez schon am Vorabend angezogen habe. Und wiederrum auch nicht. Lachen mich meine iranischen Mitstreiterinnen an oder aus? Ich fühle mich auf einmal sehr unwohl in meinem Gewand. Im Grenzgebäude ziehen sie mich dann zu sich – es gibt eine Schlange für Männer und eine für Frauen – und sagen mir immer wieder, wie schön sie mein Outfit finden und wie komisch es sei, eine deutsche Frau dieser Kleidung zu sehen. Meinen sie das ernst oder merken sie mir mein Unwohlsein an und versuchen höflich zu sein…? Alle tragen gedeckte Farben, manch eine ein buntes Kopftuch über einem schwarzen Mantel. Ich hingegen stecke von Kopf bis Fuß in einem rot-blau-gelb-weiß gemusterten Outfit!

Das Unwohlsein vergeht, wir unterhalten uns, lachen viel und ich lerne Delnia kennen. Sie spricht Deutsch, besucht Kurse an der Uni und möchte unbedingt, dass wir sie besuchen kommen. Leider wohnt sie ca. 800km von unserer geplanten Route entfernt nahe der irakischen Grenze. Eine eher unattraktive Kombination. Der Rest der Nacht ist sehr unruhig – noch dreimal müssen wir unsere Pässe zeigen, die Zugtickets werden eingesammelt und zwei der Zugangestellten möchten immer wieder, dass wir Geld zu einem sehr schlechten Kurs bei ihnen tauschen, bis Kamuran sie lautstark beschimpft. Ali und Kamerun halten uns aus bis wir in Teheran Geld zu einem besseren Kurs wechseln können. Wir teilen unsere Vorräte und Kamuran besorgt uns leckere Fladen, Honigjoghurt und zwei Dosen Orangensaft mit Stückchen zum Frühstück. Weil Maurice den Kamuran sehr, sehr gerne mag trinkt er alles tapfer aus – auch die später gereichte Dose Ananassaft mit noch viel größeren Stückchen. Später gibt es dann Lokum, vermutlich eine iranische Variante von Turkish Delight. Ich hatte mich so auf das allseits gelobte Essen während des iranischen Teils unserer Zugfahrt gefreut… – leider gibt es kein einziges Gericht ohne Fleisch, so dass ich mich an den Reis auf den Tellern der anderen und unsere Obstreste halte.

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Wir erfahren erst im Laufe des Vormittages, dass Behrooz, der iranische Flüchtling, der zurück in die Heimat wollte, es nicht über die Grenze geschafft hat. Er hatte nach seiner Flucht keinen gültigen Pass mehr… Die Stimmung im Waggon ist gedrückt und wir sind traurig, uns von einem so lebensfrohen, guten Menschen mit einer so beeindruckenden Geschichte nicht einmal verabschiedet haben zu können. Dazu kommen die Gedanken daran, was die Zukunft für ihn wohl bringen mag und das mulmige Gefühl, nichts für ihn tun zu können. Eigentlich wollten wir heute die Nummern austauschen, bevor wir in Teheran ankommen…

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Es ist schön, die sich immer ein wenig verändernde Landschaft aus dem Zug heraus zu beobachten: mal flach, dann sehr bergig; meist recht trocken und karg, oft aber auch erstaunlich grün. Steppenartige Landstriche werden abgelöst von Gebieten, in denen erstaunlich viel Landwirtschaft betrieben wird. Oft sind es aber nur kleine grüne Felder inmitten einer trockenen Ebene. Bei der Fahrt durch eine iranische Gebirgskette dann eine kleine Überraschung – zwischen den vielen Tunneln erblicken wir ein paar Täler in denen Reis angebaut wird! Die kleinen, kräftig grünen Felder stehen in unglaublichem Kontrast zum Rest der Landschaft und fesseln immer wieder unseren Blick. Maurice lenken sie ein wenig von den vielen Stückchen in seinem Ananassaft ab…

Nach 63 1/2 Stunden Fahrt kommen wir morgens um 2 Uhr in Teheran an. Viele gute Worte, Umarmungen und Küsse später (von den Frauen für die Frauen, Maurice bekommt die Hand geschüttelt) machen Ali und Kamuran uns noch die besten zwei Bänke in der sichersten Ecke des Bahnhofs klar und verabschieden sich dann ebenfalls. Wir haben uns dagegen entschieden, direkt mit Ali in den Bus nach Esfahan zu steigen und verbringen ein paar unruhige Stunden im Bahnhof im Kreise der mit uns Gestrandeten, bevor wir am nächsten Morgen Geld wechseln und uns auf den Weg nach Kashan machen – im Gepäck die Erinnerungen an diese wunderschöne Fahrt!